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#welovemags – Lieblings-Magazine #5: COLORS

In loser Folge verraten die Kollegen von Kammann Rossi, welche Magazine ihnen besonders gut gefallen. Diesmal: Jürgen Jehle, Redaktion

Das Großreinemachen in Zeichen von Corona hat seine Vorteile, denn dabei fallen einem längst verloren geglaubte Schätzchen in die Hände. Und manche sind zeitlos aktuell. Wenn man darin blättert, hat man das Gefühl, einen guten alten Bekannten wieder zu treffen. Unter meinen Corona-Schätzchen befanden sich einige Ausgaben von „COLORS – ein Magazin über den Rest der Welt“. Und bis heute eines meiner absoluten Lieblingsmagazine!

Irgendwann in den frühen 1990er-Jahren habe ich COLORS auf einem InterRail-Trip in einem Kaff – quasi im Rest der Welt – entdeckt und seitdem Ausgabe für Ausgabe verschlungen. Ich konnte es kaum erwarten, bis wieder eine neue Ausgabe erschien. Und weil es nicht einfach war, das Magazin zu bekommen, bestellte ich ein Abo beim Mondadori-Verlag und freute mich jedes Mal wie Bolle, wenn der braune Umschlag aus Italien eintraf.

 

Popel-Lizzy und Drogen

Was mir bei COLORS auf Anhieb gefallen hat, war das Cover. Keine Berühmtheiten, zumindest nicht auf der Titelseite. Stattdessen Fotos, die man so überhaupt nicht erwartet hatte:  ein Baby, das beim Pinkeln weint, Männer, die sich küssen, ein Kondom, eine goldene Kloschüssel mit Brillanten und viele andere provokative Fotos. Obwohl, so ganz ohne Promis war das Magazin nicht: Legendär war das Foto der Queen als Inderin (in der Ausgabe über Ethnien) und ein Foto in der „Rauchen“-Ausgabe, das Zigarettenwerbung auf die Schippe nahm. Darauf zu sehen war Elizabeth II. beim Popeln auf der Rennbahn. COLORS war aber ein Magazin, das nicht nur visuell, sondern auch redaktionell überraschte. Mit Themen, die ich in dieser Form nirgends las. Einmalig waren die Themenausgaben über Tod, Fett, Krieg, Drogen, Luxus oder die Ausgabe nur über Venedig.

 

Gelbe Seiten mit Insider-Tipps

Streng genommen war COLORS für mich ein Pionier bei der Erklärung, wie die Globalisierung unser Leben verändert. Ein Highlight waren für mich die „Gelben Seiten“ in jeder COLORS-Ausgabe mit weiterführenden Informationen, Adressen, Telefonnummern und Kontakten zu den Beiträgen. Stets dachte ich, verdammt noch mal: wer hat das recherchiert, woher haben die ihre Informationen und vor allem von wem sind die geilen Fotos? Genial, denn im Kern war die Idee von COLORS, dass Fotografien und Bilder ebenso viele Informationen vermitteln können wie Textseiten, eindrücklich untermauert mit der Ausgabe „No words“. Und wenn heute landauf, landab von gutem Storytelling geschwafelt wird, denke ich oft an COLORS zurück. Wer alte Ausgaben durchblättert, dem wird schnell klar warum das Magazin für viele der Redaktions- und Werbewelt ein wichtiger Bezugspunkt war. Einige Ausgaben haben sogar internationale Kontroversen ausgelöst, aber das war nie umsonst. Dabei ist die Zeitschrift ihrer Gründungsidee meist treu geblieben; dass es viel zu entdecken und zu sehen gibt, wenn man seine Augen und den Verstand offen hält.

 

 

Dickkopf mit Weitblick

Stellt sich die Frage, warum so viele Ausgaben immer noch so aktuell sind wie damals? Das liegt vor allem am kompromisslosen Herausgeber- und Art-Direktor-Team mit Oliviero Toscani und Tibor Kalman, die in Luciano Benetton einen aufgeschlossenen Finanzier fanden. Denn COLORS ist – ja – streng genommen ein Kundenmagazin. Seit der Gründung 1991 wurde COLORS bei Benetton veröffentlicht und zunächst im Kommunikationsbudget eingebaut. Benetton gewährte COLORS jedoch ein Maß an Unabhängigkeit, das in kommerziellen Partnerschaften selten anzutreffen ist. Und obwohl Luciano Benetton ein Magazin übernahm, das über die Mitarbeiter von Benetton sprechen würde, war ihm klar, dass Oliviero Toscani ganz andere Vorstellungen hatte. Toscani  wollte ein Magazin, das Themen völlig gegen den Strich bürstet, über Dinge berichtet, über die wir oft keine Macht haben. Er wollte stets Themen, die nicht verschwinden und ein Magazin das anders ist, überraschend und bewegend in Form und Inhalt. Und ein Magazin, das komplett der Marketinglogik der Verlagsbranche zuwiderlief – ohne Stars, ohne Prominenz und ohne Nachrichten. Er würde sofort eine Ausgabe über Corona machen, er würde die Ausgabe aber nicht so betiteln.

 

Schockfaktor und Nomadenmagazin

Als COLORS erschien, gehörte das Internet noch nicht zum Alltag, doch die Herangehensweise an Themen hatte eine internetähnliche Qualität. Toscani beschloss zum Beispiel, dass er Leute interviewen würde, die niemand kennt, und dass die Redaktion das damals noch unbekannte Internet dafür nutzen würde, um Geschichten zu finden. Dieser Ansatz und die visuelle Formel, die Toscani und Kalman schufen – eine Kombination aus dynamischen Grafiken, eindrucksvollen Fotografien, provokativen Themen – schuf einen bis heute unbeirrbaren Ausblick auf die Welt da draußen.

Irgendwann Anfang der 2000er-Jahre verlor ich COLORS aus den Augen. Mein Abo war abgelaufen. Aber auch sonst war COLORS bei mir nicht mehr so präsent. Vielleicht lag es auch daran, dass COLORS  einen weniger offensichtlichen Schockfaktor hatte. Ich verlängerte das Abo nicht. Erst viel später las ich, dass Oliviero Toscani Benetton verlassen hatte. Es gab Gerüchte über einen riesigen Streit. Geblieben ist die Idee der Gründer, die COLORS als Nomadenmagazin konzipiert hatten, das durch die Welt wandern sollte (COLORS erschien teilweise in bis zu sieben Sprachversionen pro Ausgabe, neben Englisch als Hauptsprache, auf Französisch, Italienisch, Deutsch, Kroatisch, Ungarisch und  Spanisch). Nach der Gründung zog COLORS nach Rom, dann nach Paris, bevor es 1997 zu Fabrica, Benettons Communication Research Center in Treviso wechselte. Dort ist es heute noch, denn Fabrica stellt die Website von COLORS zusammen, worauf Interessierte immer noch ältere Ausgaben bestellen können (siehe Link am Ende des Beitrags). Seit 2019 ist COLORS auf Instagram

 

Das Magazin zum Buch

2015 erschien ein Buch, das die wechselvolle Geschichte des Magazins dokumentierte. Ich möchte es noch kaufen und freue mich schon jetzt darauf, darin zu schmökern, denn trotz der Veränderungen und Tonverschiebungen in der 25-jährigen Geschichte von COLORS gibt es eine DNA, die alle Ausgaben verbindet und eine effektive Methode des Geschichtenerzählens erzeugt. Ein Grund dafür ist, dass Künstler und Designer oft Redakteure von COLORS waren. Damals ein Novum, heute quasi State of the Art, wenn man Titel durchblättert wie „VICE“, „Print Isn't Dead“, „The Gourmand“ oder „Rubbish FAMzine“. Wie gesagt. Ich muss das Buch noch kaufen. Es soll – so war in einer Rezension zu lesen – eine Huldigung durch Montage, eine Art Cut-and-Paste-Version des Magazins sein. Oder wie es die Herausgeber Sebastiano Mastroeni, Alessandro Cavallini und Andrea Cavallinso beschreiben:

„Wir sind an es herangegangen, als ob wir eine Sonderausgabe machen würden, indem wir etwas Neues schaffen, indem wir nur vorhandenes Material verwenden. Es gibt jedoch einen gewissen Sinn für Ordnung. Kapitel wie  „Ich will glauben“, „Elvis““ und „Wo zum Teufel ist mein Schwanz“ sind freche Versuche, die Bilder in Themen zu gruppieren.“

Die Herausgeber sagen auch, das Auflegen des Buches sei wie der Versuch gewesen, „ein großes Familienessen zu organisieren mit lauten Onkeln, Tanten, Neffen und Großeltern, die alle zu Wort kommen wollten.“ Ich glaube, es macht sehr viel Spaß, dieses Familienessen zu belauschen. Ich freue mich jedenfalls darauf, denn die Botschaft von COLORS ist seit der ersten Ausgabe die gleiche geblieben: Vielfalt ist gut!

Wer jetzt Lust auf mehr bekommen hat, dem empfehle ich die Rezension von Billie Muraben zu COLORS: A Book About a Magazine About the Rest of the Worldund natürlich COLORS selbst, denn einige rare Exemplare können noch immer nachbestellt werden: http://www.colorsmagazine.com/en/home

 

#welovemags bei Kammann Rossi

In unserer Reihe „Lieblings-Magazine der KR Mitarbeiter“ sind bisher erschienen:
#1 „Little White Lies“, vorgestellt von Verena Matl
#2 „Waves and Woods“, vorgestellt von Marc Ribbrock
#3 „Weitwinkel“, vorgestellt von Manuel Köpp
#4 „flow“, vorgestellt von Martina Thelen