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Ist Content Marketing die 5. Gewalt?

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Rettet Content Marketing die Welt? Sind Unternehmen die neuen Sinnstifter? Manches mal, wenn die Diskussionen der Agenturkollegen ins Metaphysische abdriften, könnte man diesen Eindruck gewinnen. Wir selber sind da ehrlich gesagt ziemlich skeptisch. Aber um in dieser Frage der allzu intensiven Selbstbespiegelung zu entgehen, haben wir mal einen Kunden zu diesem Thema befragt. Kai Rolker, Head of Group Communications bei Clariant, war so nett, uns als Antwort diesen Essay zu schicken. Wir finden, er ist am besten mit einem guten Glas Wein zu genießen.

Der Trend zum „Postfaktischen“

Streit war in den im Geiste der Aufklärung geborenen Demokratien stets ein Streit um politische Ideen und somit um Meinungen, weniger ein Streit um Fakten. Blosse Gefühle und rein subjektive Sichtweisen waren als Quelle der eigenen Unmündigkeit anerkannt und die Wissenschaft wurde als Hort der Verlässlichkeit weitgehend akzeptiert. Diese Praxis beginnt sich zu ändern wie der Populismus und der Trend zum Postfaktischen uns lehren. „Postfaktisch“ ist das Wort des Jahres 2016 und in der Begründung dazu heisst es, dass „immer grössere Bevölkerungsschichten“ in „ihrem Widerwillen gegen 'die da oben' bereit“ seien, „offensichtliche Lügen bereitwillig zu akzeptieren“ – dies natürlich nur unter der Bedingung, dass diese der gefühlten Meinung entsprechen. In dieser Gemengelage ist es nur konsequent, wenn man sich in Washington Gedanken darüber macht, wie das Konzept des Postfaktischen in den Köpfen der Menschen und Wahlbürger zu verankern sei, so dass fortan die Gefühlslage der Mächtigen als Begründung für deren Machtausübung zu genügen hat. Auch wenn dies den gewählten Potentaten kurzfristig nützen mag, so kommt es doch einer Selbstdemontage der Politik gleich.

Ethische Integrität gewinnt an Bedeutung für Unternehmen

Nun ist es mit der Macht wie mit der Energie: sie verschwindet nicht, sie wird nur umgewandelt, und so scheint es, als ob die Hinwendung der Politik zum Postfaktischen einhergeht mit einer Hinwendung der Wirtschaft zum Präfaktischen – einer Hinwendung, die sie zur fünften Macht in der Gesellschaft werden lässt, denn auch die Medien als die vierte Macht verlieren Würde und Ansehen, wenn das Postfaktische gewinnt. Im Gegensatz zur Politik kann es sich kein Unternehmen leisten, mit „alternativen Fakten“ zu argumentieren. Stürzt eine Textilfabrik in Bangladesh ein, weiss die Welt in Sekunden, welche Marke hier ihre Kleider hat fertigen lassen. Politik und Zivilgesellschaft erhöhen so den Druck auf die Unternehmen, ihre Wertschöpfung möglichst detailliert offen zu legen, ihre ethische Integrität zu beweisen und darzustellen, dass sie in Form eines „Purpose“ zur Rettung der Welt ihren Beitrag leisten.

Sinnvermittlung durch Storytelling

Dieser Trend spiegelt sich in den Angeboten der Kommunikationsagenturen. Unter der Flagge des „Content Marketing“ wird durch „Storytelling“ Sinnvermittlung angeboten, die über die klassische Werbung weit hinausgeht und journalistisch hochwertige Produkte erzeugt. In diesem Kontext rücken Aspekte in den Fokus, die bisher wenig beachtet wurden: Gewinn zu erzielen scheint eine blosse Nebenwirkung unternehmerischer Tätigkeit zu sein, denn der „Purpose“ zielt auf die Entwicklung der Mitarbeiter, die in perfekter Work-Life-Balance sich selbst verwirklichen, auf das Wohlergehen der „Communities“, denen man Schulen und Kindergärten spendiert, sowie auf die Welt als Ganze, der man CO2-neutral seine Freundschaft anbietet.

So wetteifern heute die Unternehmen darin, die mittel- bis langfristige Zukunft als für alle Anspruchsgruppen gesichert darzustellen, obwohl Prognosen, gerade wenn sie auf die Zukunft bezogen sind, sich ja bekanntlich als schwierig erweisen. Und so nimmt die Konjunktur des Prä-Faktischen Fahrt auf, und sie wird genährt von der Blüte des Post-Faktischen. Wenn dann die Zivilgesellschaft Unternehmen immer stärker in die Verantwortung nimmt und diesen die Schuld für zahlreiche Fehlentwicklungen zuschreibt, so lässt sich dies sicher positiv vermerken als eine Wiederkehr des Politischen im Zeitalter ihrer postfaktischen Überwindung, zugleich aber steht zu befürchten, dass das Politische seine Wiederauferstehung nicht im Geiste der Hoffnung, sondern in dem der Resignation feiert.