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Ich wünsche mir mehr Wertschätzung für visuelles Storytelling.

Silke Frigge heißt die neue Geschäftsführerin von Deutschlands bekanntester Fotoagentur laif. Im Interview verrät das – nach eigenen Worten – „laif-Gewächs“, welchen Stellenwert visuelles Storytelling hat und warum professionelle Fotografie unentbehrlich für die Corporate- und Contentmarketing-Branche ist.

Frau Frigge, seit Herbst 2020 sind Sie Geschäftsführerin von laif, wie kam es dazu und welchen Background bringen Sie mit?

Ich bin quasi ein „laif-Gewächs“, habe hier mein Volontariat zur Bildredakteurin absolviert und war fortan für den Fotojournalismus begeistert. Auch nach meinem Wechsel zur Süddeutschen Zeitung habe ich den Kontakt zur Agentur und vielen laif-Fotograf*innen nie verloren. Im Laufe der Jahre habe ich dann für diverse Wirtschaftsmagazine und Publikumszeitschriften gearbeitet. Zuletzt war ich als Projektmanagerin auf PR-Agenturseite für die Entwicklung und Steuerung großer Multi-Channel-Kampagnen verantwortlich.  

Mit dem 360-Grad-Blick sozusagen ...

Sozusagen. Es hilft auf jeden Fall, wenn man Erfahrungen aus verschiedenen Kund*innen-Perspektiven mitbringt und deren Bedürfnisse, Erwartungen und Kommunikationsziele versteht.  

Warum ging es dann zurück zu laif?

Bei laif kann ich meine Erfahrungen aus dem Journalismus und der Wirtschaft ideal mit den erwähnten Zielen der Kommunikation für Kunden kombinieren. Und schlussendlich hatte es mein Vorgänger Peter Bitzer sehr leicht, meine Begeisterung für die thematisch breit aufgestellten, qualitativ hochwertigen und kreativen Arbeiten der laif-Fotograf*innen wieder zu entfachen.

Was wird sich unter Ihrer Leitung verändern – oder wo wollen Sie Akzente setzen?

laif ist in der Medienbranche eine sehr bekannte und renommierte Fotoagentur, darüber hinaus kann sie zugegebenermaßen noch an Sichtbarkeit zulegen.  

Das müssen Sie kurz erklären ...

Wie erwähnt, kommt es vor allem auf eine gute und fokussierte Kommunikation für Kunden an. Dort sehe ich den größten „Need“, denn strategisches Onlinemarketing ist heute besonders wichtig. Daran arbeiten wir und haben viel zu bieten: Unsere Kernkompetenz ist neben Qualität, Exklusivität und einem individuellen Kundenservice auch unser globales Netzwerk mit starken Partnern wie der New York Times Foto-Syndication zu – wie wir finden – sehr guten Honoraren. 

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte", heißt es so schön. Welches Foto oder Motiv war für Sie persönlich, das Bild des Jahres 2020 von laif und warum?

Tatsächlich ist eine Wahl bei dieser Fülle an vielen guten laif-Fotograf*innen nicht leicht und schon gar nicht gerecht. 2020 war ganz klar das Jahr der Pandemie. Viele andere Themen wurden nahezu verdrängt, weil sie nicht umgesetzt werden konnten oder weil das mediale Interesse sich nur noch auf nationale Themen und auf die Virusentwicklung beschränkt hat. Reportagen rund um Corona sind im letzten Jahr sehr viele gute entstanden und entwickeln sich im laif-Archiv zu einem visuellen Langzeitgedächtnis.  

Welches Foto fällt Ihnen in diesem Kontext ein?

Spontan denke ich dabei an das Porträt eines jungen Mannes, dessen Erschöpfung ihn durch den Dauereinsatz als Helfer plötzlich ganz alt erscheinen lässt. Fotografiert hat ihn Patrick Junker für sein gelungenes Fotoprojekt „There is glory in prevention“ (Mehr Information zum Projekt am Ende des Beitrags). Für mich ein Sinnbild für die intensive und anstrengende Arbeit aller Pflege- und Hilfskräfte und für die drohende Überlastung der systemrelevanten Berufe.  

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„Meine Mutter ist Risikopatientin. Darum habe ich sie in der Zeit der Kontaktbeschränkungen nicht gesehen. Ich habe sie sehr vermisst. Generell ist es mir schwergefallen, dass Treffen mit Familienangehörigen stark eingeschränkt und manchmal unmöglich waren.“

Nick Seiboldt (Foto) arbeitet als Spezialreiniger und Desinfektor bei Akut SOS Clean, einem Betrieb für Desinfektion, Schädlingsbekämpfung und Dekontamination mit Sitz in Bad Soden am Taunus. Mit seinen Kollegen reinigt er Regierungsflieger, Bahnhöfe, Pflegeheime, Rettungswägen.


Die Kamera ist oft wie ein goldener Schlüssel zum Leben anderer Menschen. Was zeichnet Ihrer Meinung nach gute Fotograf*innen aus?

Die Fähigkeit zur narrativen Verdichtung, Leidenschaft und Leidensdruck, die Gabe des Zuhörens, das nie müde werdende Interesse für die Welt im Großen wie im Kleinen, den Respekt vor der Meinung anderer und die Einsicht, dass fast immer ein Rest Selbstzweifel bleibt. 

Soll oder darf Fotojournalismus die Realität beeinflussen?

Er tut es doch längst ... 

Fotografieren lebt vom persönlichen Kontakt zwischen Fotograf und Fotografierten. Wie hat sich das Fotografieren unter Coronabedingungen verändert und was bedeutet das für den Fotografen aktuell wirtschaftlich gesehen?

Die Einschränkungen durch die Covid-Pandemie haben enormen Einfluss auf die Arbeit von Fotograf*innen. Ihre wirtschaftliche Lage hat 2020 erheblich gelitten, wie für die meisten Solo-Selbstständigen insgesamt. Viele mussten zusehen, wie wichtige Aufträge reihenweise storniert wurden, denn Fotograf*innen sind auf die Vor-Ort-Präsenz angewiesen. Ein Textredakteur kann auch zuhause schreiben und Interviews am Telefon führen – verstehen Sie mich nicht falsch. Aber Fotos entstehen nun einmal nicht im Homeoffice, sondern auf der Straße oder bestenfalls im Studio.

Auf der anderen Seite sehe ich auch sehr viel Kreativität, die seit dem ersten Lockdown entstanden ist. Freie Arbeiten, die sich mit der Isolation und Einsamkeit der Menschen auseinandersetzen zum Beispiel. 

Stichwort Instagram und Co. Jeder meint heutzutage, fotografieren zu können und ein Smartphone ist eine leistungsfähige Kamera, die fast jeder bei sich trägt. Warum braucht es heutzutage noch professionelle Fotograf*innen?

Das stimmt. Handykameras sind Hochleistungsgeräte geworden. Und Einzelbilder von Amateuren können herausragend gut sein. Aber wie man eine Geschichte in Bildern erzählt, das was gerne als Storytelling bezeichnet und oftmals als Begriff überstrapaziert wird, wie ein Thema, die Widersprüche, die Essenz herausgearbeitet, wie eine Situation oder die Persönlichkeit eines Menschen erfasst wird, wie man mit moralischer Verantwortung umgeht und dabei entscheidet, was man zeigt und was man ganz bewusst nicht zeigt, und das Weglassen auch Teil des Erzählens sein kann, das können meines Erachtens nur professionelle Fotograf*innen.  

Tun Instagramer das nicht?

Nur bedingt. Wir müssen unterscheiden, für welchen Zweck ein auf Kurzweil ausgerichteter Channel wie Instagram benutzt wird. Für die Darstellung formaler Ästhetik Einzelner? Als Mittel zum Selbstmarketing? Für die zielgruppengerechte Ansprache eines Produktes oder Dienstleistung? Oder um Aufmerksamkeit auf soziale Ungerechtigkeit, Umweltthemen oder menschenunwürdige Zustände zu lenken? Nehmen wir die Zustände in den Flüchtlingslagern auf Lesbos. Fotojournalist*innen dokumentieren die Gegenwart, oft erschreckend eindrücklich. Sie wissen, wie man den Finger in die Wunde legt, mit Bildern unser Gewissen anspricht. So ein Bild setzt sich fest. Jeder/ von uns hat ein Bild von Moria im Kopf. Kurz: Fotojournalist*innen prägen unser Bild von Ereignissen, Orten, Personen. In Magazinen, Kampagnen, auf Blogs, bei Instagram. Sie haben Zugang zu den Personen der Macht, des Geldes und gelangen an Orte, die vielen von uns verborgen bleiben. Hier liegt Potential, das von Corporate Publishing Kund*innen noch entdeckt werden kann.

Sie arbeiten neben politischen Institutionen bei Projekten auch Hand und Hand mit Stiftungen, wie etwa der Bertelsmann Stiftung. 2020 ist auch das Buch „Auf Kosten anderer. Die Globalisierung in Bildern“, Ihre dritte Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung, erschienen und ein – wie ich finde – visuelles starkes Statement. Wie kam es zur Zusammenarbeit und warum sollte man sich dieses Buch ansehen? 

Das Projekt „Auf Kosten anderer“ hat noch mein Vorgänger Peter Bitzer initiiert. Das Buch zeigt in ausdrucksstarken Bildern wie unser tägliches Handeln und Konsumieren globale Konsequenzen für Menschenrechte und den Klimawandel hat, dessen wir uns bewusst sein sollten. Darunter sind Fotos von Kai Löffelbein, Sandra Hoyn, Kadir van Lohuizen, Thomas Munita, Daniel Rosenthal, Patrick Tombola, Henrik Spohler, James Whitlow Delano und viele andere. Begleitend ist eine Ausstellung entstanden, die noch auf ihre Eröffnung warten muss. 

Planen Sie weitere, ähnliche Projekte?

Mit der Bundeszentrale für politische Bilder gibt es erfreulicherweise schon eine lange und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Da war es naheliegend, ein gemeinsames visuelles Projekt umzusetzen, zumal laif bei vielen gesellschaftlichen Megatrends mittlerweile sehr breit aufgestellt ist: Klimawandel, Globalisierung, Ernährung und Landwirtschaft, Flucht und Migration. Bei Unternehmen, NGOs und Stiftungen mit diesen Fokusthemen sind wir eine bekannte Anlaufstelle, wenn es um visuellen Content geht. Gerade entsteht ein weiteres Schwerpunktthema: Die Pandemie und ihre Folgen. Auch hier planen wir ein neues Buchprojekt. 

Seit 2017 realisieren laif und Kammann Rossi weltweit gemeinsame Fotoshootings für die Markets-Medienfamilie des Kunden Germany Trade & Invest. Welchen Stellenwert räumen Sie dem visuellen Storytelling im Corporate Publishing dabei ein?

Diese Zusammenarbeit mit KR freut uns sehr, besonders auch, weil wir uns gegenseitig schätzen und von der Expertise des jeweils anderen profitieren und lernen können. Gerade für das Corporate Publishing werden visuelle Inhalte immer wichtiger, weil Botschaften schneller auf den Punkt gebracht werden müssen. In Print erst recht und bei Web- und Social Media-Formaten sowieso. Und wenn Auftraggeber*innen auf die Expertise von Fotograf*innen vertrauen, ohne Worte in wenigen Bildern alles erzählen, entstehen oft kleine Masterpieces. Besonders deutlich wird das bei exzellenten Fotoreportagen. Fotoreportagen sind im Grunde nichts anderes als visuelles Storytelling, es klingt nur weniger schick.  

Was macht visuelles Storytelling so besonders?

Ganz einfach: Weil es nicht jede/r kann. Denn dafür braucht es gute und kreative Fotograf*innen. Ich wünsche mir, dass visuelles Storytelling endlich mehr Wertschätzung erhält. Denn konsequente Professionalität und Qualität in Bild, Text und Layout gleichermaßen wertet das Produkt, die Dienstleistung, das Unternehmen auf. Und jeder Mensch hat ein mehr oder weniger intuitives Gespür dafür, ob etwas mit Herz und Hirn entstanden ist.  

Kann ein Foto überhaupt noch die ganze Geschichte erzählen?

Warum noch? Schon immer konnte und kann ein Bild eine ganze Geschichte erzählen: Ich denke sofort an Willy Brandts Kniefall in Warschau oder Robert Capas fallenden Soldat im Spanischen Bürgerkrieg. Sie sind heute Teil des kollektiven Gedächtnisses. 

In Blog von laif informieren Sie regelmäßig über Projekte, Fotograf*innen und News. Auf welche News dürfen wir uns demnächst freuen?

Ich hoffe doch auf viele bildstarke Veröffentlichungen, neue Kooperationen und wohl auch auf unsere eigene Jubiläumsausstellung „40 Jahre laif – 40 Jahre dokumentarische Fotografie“ im Museum für Angewandte Kunst in Köln. Pandemiebedingt jedoch verschoben auf Anfang 2022.


Zur Person Silke Frigge: Die 51-jährige Kölnerin ist seit Ende 2020 Geschäftsführerin der internationalen Fotoagentur laif. Nach ihrem Volontariat zur Bildredakteurin bei laif war sie für verschiedene Verlage und Wirtschafts- und Publikumszeitschriften tätig, hat aber nie den Kontakt zu ihrem Ausbilder verloren. Im visuellen Storytelling sieht die begeisterte Museumsgängerin ein Schlüssel zum Kern von Geschichten und Menschen.

Hier geht es direkt zu laif – Agentur für Photos und Reportagen.


Zum Projekt: „There is glory in prevention”
Visuelles Storytelling der Extraklasse: Die Corona-Pandemie beherrscht unser Leben, dennoch bleibt die Gefahr für die meisten abstrakt. Mit dem Fotoprojekt „There is glory in prevention“ möchte der Stuttgarter Fotojournalist Patrick Junker, der von laif vertreten wird, die Pandemie sichtbar machen. Seit Beginn der Krise im Frühjahr 2020 ist er vor allem in Stuttgart unterwegs. Seine Bilder und die Stimmen der Porträtierten, aufgezeichnet von Autoren der Reportergemeinschaft Zeitenspiegel Reportagen in Weinstadt, zeigen persönliche Geschichten der Krise, von Menschen, die täglich der Gefahr des Virus ausgesetzt sind, von Pflegekräften und Ärzten, von einem Patienten, der noch heute mit den Folgen seiner schweren Covid-19 Erkrankung kämpft. Sie erzählen von der neuen Normalität – und von Zeichen des Zusammenhalts.
Link zum Projekt:
www.thereisgloryinprevention.de


Fotocredits: 
Porträt Silke Frigge: Sabine Braun/laif
Porträt Nick Seiboldt: Patrick Junker/laif