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Warum Netzpolitik ohne Veränderungen am Arbeitsplatz sinnlos ist, oder: "Das Dilbert Prinzip"

Mir wird gerne vorgeworfen, dass ich mich am allgemeinen nicht für Netzpolitik, die Rolle von Facebook im Rahmen der arabischen Revolutionen oder Plattformen wie UdL Digital interessiere, selbst wenn Sie einen Politikaward gewinnen. Die Anzahl meiner Tweets oder Status-Updates zu diesem Thema lässt sich an einer Hand abzählen, die meiner Blogbeiträge ebenso. Was ich lese, weiss ja keiner, aber ich sage ohne Scham: wenn solche Themen meine Timeline fluten, geschieht das gleiche wie bei Talkshows im Fernsehen - ich schalte um oder suche den schnellen Vorlauf.

Diese grundsätzliche Ignoranz gegenüber politischen oder sozialen Themen hat bei mir eine sehr lange Tradition. Zur Wahl schleppe ich mich mühsam und selten, Kirchen bestaune ich von aussen und auf Parties entgehe ich den Diskussionen der ZEIT-Leser durch prolongierte Aufenthalte am Buffet.

Man mag das für einen Charakterfehler halten oder die grundsätzliche Ignoranz eines Bürgersöhnchens ohne existenzielle Probleme. Da mag sogar etwas dran sein. Aber bei einem meiner letzten Versuche, in mich zu gehen, bin ich noch einem weiteren Grund auf die Spur gekommen: mich interessieren grundsätzlich nur solche Veränderungen, auf die ich aufgrund der machtpolitischen Gemengelage direkten und spontanen Einfluss mit nennenswerten Auswirkungen in kurzer Zeit nehmen kann. Womit wir mitten im Thema wären. Denn die einzigen Institutionen, auf die ich privat und professionell genügend Einfluss habe, um meinen Ehrgeiz bezüglich ihrer Optimierung zu wecken, sind Familie und Arbeitsplatz.

Über meine Familie werde ich hier nicht reden. Wer möchte, findet meine Frau auf Facebook und kann sich die nötigen Hintergründe verschaffen.

Aber über den Arbeitsplatz.

Weil nämlich sonst niemand über ihn redet.

Oder fast niemand.

Zumindest im Umfeld der großen (netz)politischen Diskussionen.

Die Forderung nach - altmodisch ausgedrückt - Teilhabe scheint immer VOR den Werkstoren zu beginnen. Was dahinter passiert, wird in vielen Fällen nur unter den Tags "Arbeitszeit", "Gehalt", "Frauenquote" und "Ausbeutung" diskutiert. "Gestaltung des Arbeitsplatzes" ist meistens ein Fall für den Sicherheitsbeauftragten der zuständigen Berufsgenossenschaft.

Natürlich gibt es auch die Tags #e20 und #socialbusiness.Und ich will den geschätzten Kollegen von der Enterprise 2.0 Beratung keinen Tort antun. Ich bin mit Euch, bei Euch und unter Euch.

Aber seien wir realistisch: wir sind Exoten, eine Nische, ein walled garden im Nerdland der Social Media Freaks. Denn es gibt KEINE relevante gesamtgesellschaftliche Diskussion zu den Implikationen kommunikationsfeindlicher und teilhabeverweigernder Arbeitsplätze.

Wie sonst ist es zu erklären, dass Institutionen wie der BVDW keine Social Enterprise Fachgruppe oder kein entsprechendes Forum haben und das Thema in der netzpolitischen Diskussion dort nicht aufzutauchen scheint.

Wie realistisch können aber die durch das Internet und Social Media erhofften gesellschaftlichen Veränderungen sein, wenn wir den Arbeitsplatz aus der Diskussion ausklammern, ihn als Thema den Beratern, Coaches und Betriebsräten überlassen? Selbst bei einer 35-Stunden-Woche dürften der Ort wo und die Menschen mit denen wir arbeiten, den weitaus größten solitären Teil unseres Lebens darstellen. Wer verbringt schon 35 Stunden die Woche auf Parteiversammlungen oder Barcamps?

Neben der Familie ist der Arbeitsplatz der Ort, wo wir am meisten über Wert und Art menschlicher Beziehungen lernen. Und was wir dort in den allermeisten Fällen lernen ist wenig ermutigend: Hierarchie steht über Kollaboration, Effizienz geht vor Erfüllung und Wettbewerb schlägt Miteinander. Vor diesem Erfahrungshorizont, auf Basis dieser nicht selten zutiefst frustrierenden Routinen, wollen wir unsere Gesellschaft umkrempeln?

Tssss.

Solange keine offene und breite Debatte um einen unserer zentralsten Lebensbereiche stattfindet, solange wir so tun, als könnten wir bis 18 Uhr Dilbert und danach Revoluzzer sein, wird sich wenig ändern. Nicht "Unter den Linden" muss besser werden sondern "Hinter dem Tor". (Es ist mir übrigens ein absolutes Rätsel, wie man bei UdL Digital ernsthaft über das Thema "Wie kann man das kreative Potenzial Deutschlands besser nutzen?" reden kann, ohne die Möglichkeiten veränderter Unternehmenskultur offensichtlich auch nur einmal zu streifen.)

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Deshalb ist das hier eine Art Aufruf: lasst uns den Arbeitsplatz auf die politische Agenda nehmen, lasst uns gemeinsam an einer Arbeitsplatzkultur arbeiten, die mehr Werte kennt als Disziplin und Qualität, nämlich, soviel von meinem Standpunkt vorab, Offenheit, Hierarchiefreiheit, Teilhabe, Gemeinsamkeit und Empathie.

Seit 20 Jahren arbeite ich als Berater in und für Unternehmen und ich begegne diesen Werte viel zu selten. Zur Rente möchte ich das Gegenteil sagen können. Ich möchte, dass Deutschland dann kein Enterprise 2.0 Schwellenland mehr ist.

Und deshalb konzentriere ich mich bis auf weiteres auf genau dieses Thema und überlasse den Rest der Revolution eplus, dem BVDW und ein paar Piraten.

P.S. Falls jemand schon relevante Foren kennt, die ich übersehen haben sollte, immer her damit.