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#welovemags – Lieblings-Magazine #6: Delayed Gratification

Covers

In loser Folge verraten die Kollegen von Kammann Rossi, welche Magazine ihnen besonders gut gefallen. Diesmal: Rebecca Lorenz, Redaktion

Gut Ding will Weile haben. Davon zumindest war meine Großmutter felsenfest überzeugt. Ein Streit mit meiner Schwester? Ein in den Sand gesetzter Physiktest? Eine verflossene Liebe? Wann immer mein Teenager-Ich sich mit Problemen herumschlug, gab meine Großmutter mir nur diesen einen Ratschlag. Frustrierend? Definitiv. Aber heute, mehr als 15 Jahre später, kann ich ehrlich sagen: Oma, du hattest Recht!

Vielleicht mag ich deshalb Delayed Gratification so gerne. Denn in einer geschwindigkeitsfixierten Welt setzt das Magazin ein starkes Gegenstatement. Schon auf seinem Titel verkündet es stolz „Last in Breaking News“ zu sein. Die enthaltenen Themen? Waren vor Monaten oder gar Jahren einmal brandaktuell. Das klingt erstmal komisch – hat aber durchaus seine Berechtigung. Denn Delayed Gratification ist ein glühender Verfechter des sogenannten Slow Journalism.

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Mit der Zeit, statt gegen die Zeit Was das bedeutet?

Um es in den Worten meiner Großmutter zu sagen: Gut Ding will Weile haben. Wer anspruchsvollen Journalismus in höchster Qualität liefern will, braucht Zeit. Zeit, genau zu recherchieren und Fakten zu validieren. Zeit, tief in Themen einzusteigen und sie zu durchdringen. Zeit, den Kontext einer Geschichte wahrzunehmen und das große Ganze zu sehen. Zeit, Situationen zu analysieren und einzuordnen. Zeit, die richtigen Experten zu finden und anzusprechen.

Delayed Gratification nimmt sich diese Zeit – und das merkt man dem Magazin wirklich an. Es fokussiert sich auf wenige, dafür aber wirklich wichtige Themen. So etwa den Sturm auf das US-Kapitol, den Umsturz der Regierung in Myanmar oder den Start der Covid-Impfkampagne in Großbritannien. Beleuchtet aus bislang unbekannten Perspektiven, werden sie den Lesern in abwechslungsreichen Formaten dargereicht. Und während die meisten anderen News-Magazine schon der nächsten großen Story hinterherjagen, behält Delayed Gratification lieber die langfristige Entwicklung einer Geschichte im Blick.

Doch nicht nur bei den Themen konzentriert sich das Magazin aufs Wesentliche. Anzeigen für teure Autos, Cremes und Outdoorjacken? Sucht man in Delayed Gratification vergeblich. Zwei Eigenanzeigen gönnen sich die Macher des Magazins – der Rest der 120 Seiten sind ausschließlich redaktionellen Inhalten gewidmet. Dass ein Magazin ohne Anzeigen überleben kann, hat mich persönlich ehrlich verblüfft. Zumal der Preis pro Ausgabe mit rund 12 Euro (10 GBP) nicht exorbitant hoch ist.

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Erstklassige Infografiken

Das Geld ist Delayed Gratification allemal wert – denn die Lektüre lohnt sich nicht nur wegen des außergewöhnlichen Konzepts und der gut recherchierten Stories. Das Magazin hat noch ein weiteres Highlight in petto: wirklich tolle und unterhaltsame Infografiken. Wer weiß schon, wie viele Bäume für die Nachricht sterben mussten, dass Pippa Middleton’s Mantel eventuell einen Babybauch versteckt? (Spoiler: Es waren fünf.) Welcher nicht-königliche Herrscher auf der Welt am längsten regierte? (Fidel Castro mit 49 Jahren und drei Tagen) Oder welches Team bei der Fußball-Europameisterschaft die meisten Kilometer lief? (Spanien mit durchschnittlich 127,5 Kilometern pro Spiel)

Die Infografiken sind so toll gemacht, dass sie meist das erste sind, was ich mir im Magazin anschaue. Und das liegt nicht nur daran, dass auch das Inhaltsverzeichnis von Delayed Gratification bereits eine Infografik ist. So viel Entscheidungshilfe wie hier, bekomme ich als Leserin in wirklich keinem anderen Magazin. Soll es eher ein seichtes oder hartes Thema sein? Ein langer oder ein kurzer Text? Ein Ereignis aus dem Januar, Februar oder März? Alle Inhalte des Magazins finden sich übersichtlich kategorisiert wieder.

Aber auch der Rest des Magazins kann sich durchaus sehen lassen. Delayed Gratifications ist eine bunte Mischung aus Infografiken, Illustrationen und reportagiger Fotografie. Lange Lesestrecken wechseln sich mit sogenanntem snackable Content ab. So kommt es, dass man das Magazin nach dem ersten Reinschauen eigentlich gar nicht mehr aus der Hand legen möchte.

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Harte Fakten

Einen Haken gibt es aber doch: Delayed Gratification habe ich in Deutschland noch nie in einem Kiosk oder Zeitungsgeschäft gefunden. Ich bestelle mir meine Ausgaben deshalb immer über die Website www.slow-journalism.com – und muss mich dann gedulden. Denn die Versanddauer von Großbritannien nach Deutschland kann im schlimmsten Fall bis zu zehn Tage betragen. Aber auch für alle, die in ihrer Freizeit grundsätzlich nur auf Deutsch lesen wollen oder können, ist Delayed Gratification nichts. Das Magazin erscheint zwar vier Mal jährlich – aber leider nur auf Englisch.